Publikationen : Leseprobe
In: Pühl, Harald (Hrsg): Handbuch der Supervision 2. Berlin. Wissenschaftsverlag Volker Spiess (1994)
In Analogie zum Spiel wird in diesem Beitrag Supervision aus systemischer Sicht in Szene gesetzt. Es wird gezeigt, daß Supervision ein von allen Beteiligten gemeinsam gestalteter Interaktionsprozeß ist, der im spielerischen Sinn auch Spaß machen darf. Da Supervisionsgeschehen sich im Kontext von institutionellen und individuellen Erwartungen abspielt, liegt das Hauptaugenmerk hier auf dem Aushandeln von Supervisionsaufträgen und der Gestaltung von Supervisionsprozessen. Beleuchtet werden die aus der Sicht der einzelnen Beteiligten unterschiedlichen Bedeutungen und die damit verbundenen unterschiedlichen Spielregeln von Supervision. Anhand zahlreicher Beispiele werden Handlungsspielräume beim Gestalten von Supervision aufgezeigt.
Sohn: Mama, sind diese Gespräche ernst? Mutter: Sicher sind sie das. Sohn: Sie sind nicht so eine Art Spiel, das Du mit mir spielst? Mutter: Gott bewahre . . . aber sie sind so eine Art Spiel, das wir zusammen spielen. Sohn: Dann meinst Du es nicht ernst! Mutter: Sag mir doch einmal, was Du unter den Worten "ernst" und ein "Spiel" verstehst? Sohn: Na ja. . . wenn du . . ich weiß nicht. Mutter: Wenn ich was? Sohn: Ich meine . . . für mich sind die Gespräche ernst, aber wenn Du nur ein Spiel spielst? Mutter: Jetzt mal langsam. Wir wollen sehen, was an "spielen" und "Spiel" gut und was schlecht ist. Vor allem ist es mir egal - ziemlich egal - ,ob ich gewinne oder verliere. Wenn mich Deine Fragen in die Enge treiben, sicher, dann strenge ich mich noch ein bißchen mehr an, genau zu denken und klar zu sagen, was ich meine. Aber ich bluffe nicht und stelle keine Fallen. Es besteht keine Versuchung zu schummeln. Sohn: Genau das ist es. Für dich ist es nicht ernst. Es ist ein Spiel. Leute, die schummeln, wissen einfach nicht, wie man spielt. Sie behandeln ein Spiel, als wäre es ernst. Mutter: Aber es ist ernst. (Bateson 1988)
Diese bekannte Unterhaltung, die Gregory Bateson mit seiner Tochter. führte, wird hier von mir als Mutter- Sohn- Dialog reinszeniert, da ich ähnliche Szenen aus diversen "Gesprächen unter vier Augen" mit meinen eigenen Kindern kenne. Während wir uns unterhalten, handeln wir aus, worum es eigentlich gehen soll. Begriffe werden eingeführt und voneinander abgegrenzt, erfragt und in Frage gestellt. Die Unterhaltung verläuft sowohl spielerisch als auch ernsthaft, und am Ende bleibt uns manchmal etwas Verwirrung über das, was da besprochen wurde, aber auch Gewißheit, etwas Vergnügliches miteinander unternommen zu haben.
Auch Dialoge, die sich im Rahmen von Supervision entwickeln, können sich zwischen Spiel und Ernst bewegen und ein vergnügliches Unterfangen darstellen. Verständnis und Mißverständnis sind auch hier eng gekoppelt vor allem dann, wenn wir z.B. bei der Auftragsklärung vorschnell zu wissen glauben, worum es gehen soll. Auch im Bereich von Supervision entstehen Ideen in Wechselwirkung, und ihre jeweilige Bedeutung muß erst erfragt werden. Sollte es uns gelingen, die Spielmetapher für die Supervision zu nutzen, könnten wir über eine reichhaltige Ressource verfügen, die uns ganz unterschiedliche Optionen bei der Gestaltung des Supervisionsprozesses eröffnet.
Was heißt eigentlich spielen? Viele mögliche Antworten sind denkbar: Sich mit etwas beschäftigen um der Zerstreuung oder der Anregung willen; sich zusammen mit anderen die Zeit vertreiben; sich bewegen; sich im Wettkampf mit jemandem messen; nicht wirklich miteinander kämpfen; so tun, als ob; sich Spielregeln unterwerfen und Ziele im Auge haben; sportliche Ambitionen verwirklichen; Witz und Geistesgegenwart erproben; Geschicklichkeit oder Schnelligkeit beweisen; experimentieren mit dem Zufall; das Glück zwingen oder Pech haben; gewinnen oder verlieren; Spannung oder Entspannung erzeugen; Spaß und Vergnügen haben.
Neben dieser Kette freier Assoziationen gibt es weitere Möglichkeiten, das zu benennen, was Spiel sein kann. Die mathematisch fundierte Spieltheorie nutzt den Begriff des Spiels, um zwischenmenschliche Verhaltensabläufe zu beschreiben und als regelgeleitete und zielgerichtete Interaktionsprozesse zu erfassen. Aus spieltheoretischer Sicht ist Spiel eine zeitlich begrenzte Mischung aus den Elementen Zufall und Regel. Der Göttinger Naturwissenschaftler Manfred Eigen sagte dazu: "Der Mensch ist Teilnehmer an einem großen Spiel, dessen Ausgang für ihn offen ist. Er muß seine Fähigkeiten voll entfalten, um nicht Spielball des Zufalls zu werden." (Eigen/ Winkler 1975). Was macht nun die Metapher des Spiels zusätzlich zu den vielen genannten Assoziationen so spannend für die systemische Arbeit? Sie ermöglicht es, mit Humor über zwei für systemische Wirklichkeitskonstruktionen wesentliche Bereiche im besonderen Fall der Supervision zu sprechen, über Kontext und Prozeß und dabei gleichzeitig deutlich werden zu lassen, daß das Thema ein ernstes ist.
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