Publikationen : Leseprobe
Frauenzimmer und Mannsbilder
Systemische Familientherapie und Geschlechterrollen am Beispiel systemischer Supervision
In: Neumann-Wirsig, Heidi/ Kersting, Heinz, J. (Hrsg): Systemische Supervision oder Till Eulenspiegels Narreteien. Aachen. Wissenschaft (1993)
Schauen wir zunächst einmal auf die Räume, und zwar auf die Innenarchitektur eines Hauses, auf die Raumaufteilung in bezug auf die Geschlechter. Es gab und es gibt ganz verschieden gestaltete Räume in einem Haus mit ganz unterschiedlichen Funktionen, zum Beispiel Frauenzimmer und Herrenzimmer. Der Begriff Frauenzimmer bezeichnete im fünfzehnten Jahrhundert das Frauengemach, den Raum eines Hauses, der für die Frauen vorgesehen war. Die übrigen Gemächer waren für die Herren der Schöpfung. Niemand wäre allerdings auf den Gedanken gekommen, sie deshalb als Männergemächer zu bezeichnen.
Im sechzehnten Jahrhundert dehnte sich der Begriff des Frauenzimmers auf die Gesamtheit der Frauen im Frauengemach aus und avancierte im siebzehnten Jahrhundert zu der Bezeichnung für vornehme Frauen. Im achtzehnten Jahrhundert verlor das Frauenzimmer jedoch sein soziales Prestige und rutschte auf der sozialen Leiter nach unten.
Als im neunzehnten Jahrhundert das Herrenzimmer in Mode kam, dachte niemand daran, diesen Begriff auf die Gesamtheit der Herren im Herrengemach auszudehnen und die Herren Herrenzimmer zu nennen. Das wäre auch absurd gewesen, denn der Herr des Hauses war ja Herr des ganzen Hauses und nicht nur Herr des Herrenzimmers. Im Herrenzimmer konnte sich der Herr an einem von einem Frauenzimmer blank polierten Schreibtisch setzen oder gar mit anderen Herren der Schöpfung nach einer Mahlzeit zu einem Cognac mit Zigarre zurückziehen und Herrenwitze erzählen. Ist das nicht herrlich? Oder ist es etwa dämlich?
Heutzutage gibt es immer noch spezielle Räume für Frauen. Zu Hause ist es nach wie vor die Küche - die leidenschaftlichen Köche unter den Männern bilden die Ausnahme - oder auch das Bügelzimmer. Eine meiner Patientinnen nannte mir diesen Ort auf die Frage, ob sie in ihrem Zuhause auch Platz für sich habe. Sie ist Lehrerin, ihr Mann Mediziner. Auf Kongressen oder größeren Veranstaltungen hat sich als beliebter Aufenthaltsort der Frauen ein weiterer Ort etabliert: der Ladies Room. Dort werden häufig konspirative Verabredungen getroffen, wenn die Quantität und Qualität der öffentlich auftretenden männlichen Redner das Maß des Erträglichen bei der zuhörenden Damenwelt überschreitet. Daß in öffentlichen Veranstaltungen Frauenzimmer oder Weibsbilder als Rednerinnen auf der Bühne stehen, ist immer noch eine Seltenheit. Daß sie geladen sind zum Thema Geschlechterrolle zu sprechen, erbost noch so manche Zuhörerschaft, obwohl oder gerade weil dieses Thema Mode ist.
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